In der reinen Welt der Ideen
Ditzum. Ein Mann, sein Cello, Kompositionen von Bach und Kodály. Das waren die Bestandteile des 16. Konzertes der Gezeiten in der Kirche zu Ditzum. Was sich zunächst recht simpel liest, das war musikalischer Hochleistungssport auf vier Saiten – geboten von dem Cellisten Julian Steckel.
Die Bach-Suiten für Cello solo wurden im Programmheft umfassend und kenntnisreich von Joelle Lieser vorgestellt. Doch von dem Text im Heft zur Realisierung auf dem Cello ist es ein weiter Weg. Und den ging Steckel mit solcher Selbstverständlichkeit an, dass man als Hörer atemlos dasaß und einigermaßen verblüfft das Spiel seiner beweglichen Finger auf dem Instrumentenhals und das zarte Streichen des Bogens beobachtete. So leicht, so kunstfertig, so meisterlich.
Steckel spielte auswendig, was angesichts des Schwierigkeitsgrades der Suiten und der Länge der sechsten wagemutig erscheinen könnte, für den Musiker aber offenbar kein Problem bedeutete. Steckel goutierte vielmehr die Wirkung der Bach’schen Komposition ebenso wie sein Publikum. Mit geschlossenen Augen schien er dem Nachhall des Klangs zu lauschen, versunken, gespannt, vital.
Angesichts der Bach’schen Suiten geht es wie beim Lesen der Duineser Elegien Rilkes oder der Sonette Michelangelos. Hinter der formalen Strenge verbirgt sich eine reine Welt von Ideen, die sich wie aus einem Füllhorn heraus ergießen. Man glaubt ihren Inhalt zu erfassen, doch schon entgleiten sie wieder, fügen sich neu und nehmen die nächste Stufe von Lebensweisheit und -fülle.
Diesem Konzept, dem Steckel als Vermittler diente, stellte er Kodálys Sonate für Violoncello solo gegenüber – im denkwürdigen h-Moll, das Bach einmal als „Schwarze Tonart“ bezeichnete. Mit einem mächtigen Allegro maestoso setzt dieses Werk ein, um sodann hanebüchene, technisch herausfordernde Strukturen zu offenbaren. Der Daumen wird als fünfter Finger eingesetzt, die Linke spielt pizzicato, muss aber zeitgleich auch die normalen Griffe bewältigen, die Grifftechnik darf abenteuerlich genannt werden und geht oft genug über die ganze Länge des Halses, mit einem Mal tauchen dumpfe „Glockenschläge“ in dem Tongewirr auf, um sich in den Eindruck von Folkloristik zu verwandeln. Das ist Musik wie für eine immerwährende Prüfung, die stets neu bestanden werden muss.
Als das Stück relativ unspektakulär endet, scheint Steckel sich erst aus der Welt, in die er während des Spiels versunken war, mühsam lösen zu müssen. Dann erscheint ein Lächeln auf seinem Gesicht. Der Applaus ist überwältigend.