Abend der Widersprüchlichkeiten
Völlen. Es war ein Programm zwischen tiefem Ernst und virtuoser Leichtigkeit, das da am Sonntag (9. Juni) in der Peter- und Paul-Kirche in Völlen im 17. Konzert der Gezeiten über die Bühne im kleinen Kirchenraum aus dem 15. Jahrhundert ging. Liv Migdal und Matan Goldstein hatten ein ungewöhnliches Programm in einer ebenso ungewöhnlichen Besetzung aufgestellt. Violine und Percussion – dafür gibt es, so sagte Liv Migdal selber, keine Literatur. Also bleiben zwei Möglichkeiten. Entweder Arrangements erstellen oder ein Stück in Auftrag geben. Beides haben die Musiker gemacht – und das Ergebnis präsentierte sich als ein sehr intensives Erlebnis.
In den beiden Hälften gab es jeweils einen Höhepunkt. Im ersten Teil war das die Auftragsarbeit „Tikkun“, die Max Doehlemann für die beiden Musiker komponiert hat. Es sei eine Reise durch den jüdisch-orientalischen Raum, erläuterte die Violinistin. Da die Juden auf der ganzen Welt verstreut seien, würde deren Musik auch die Einflüsse des jeweiligen Landes aufnehmen. Und so hat auch Doehlemanns Komposition Klänge aus diesem Konglomerat von Tönen aufgenommen. Das größte Geschenk aber war der Einsatz der Percussion, die man sich nicht als lärmendes Schlagzeug vorstellen muss, sondern als sehr dezentes, kreativ eingesetztes Schlagwerk, gefühlvoll gespielt von Matan Goldstein.
Liv Migdal ist Violinistin – und zwar eine von großer Klasse. Sie fügte dem Abend einige kleinere Werke hinzu, von denen das eindrucksvollste die Sonate für Violine solo von Paul Ben-Haim war. Ben-Haim, der schon 1933 aus Deutschland emigrierte, erlebte danach einen völligen Bruch in seinem Werk. Hatte er in Deutschland als Paul Frankenburger romantisierend komponiert, so änderte sich der Stil nach seiner Emigration vollständig. Er verknüpfte, so sagte Liv Migdal, künftig europäisches und orientalisches Musikerbe miteinander und schuf einen völlig neuen Musikstil.
Die Sonate gab einen Eindruck von dieser Neuorientierung, die zugleich technisch einiges abverlangte. Migdal berichtete auch, dass die Enkelin Ben-Haims beim 7. Oktober zu jenen Menschen gehörten, die mitten im terroristischen Geschehen waren. Nur weil sie sich in einem dichten Gebüsch verstecken konnte, sei sie der Vergewaltigung oder dem Tod entgangen. Angesichts solcher Hinweise wirkte die Musik des Großvater, der dem Holocaust entging, noch unmittelbarer.
Doch es gab auch die andere Seite. So improvisierten Migdal und Goldberg zweimal im Bereich Klezmer. Da erklangen bekannte Weisen und wurden geschickt verknüpft und akzentuiert, sie klangen auf und verklangen gleich wieder. Das waren die heiteren Momente, in denen die Besucher in Völlen den Charme und die Freude der Musik direkt genießen konnten. Dazu gehörte auch das Schlussstück – Sarasates „Carmen-Fantasie“, in der die Hauptthemen der Oper und hier vor allem die tänzerischen Elemente solche Begeisterung erzeugten, dass der Applaus schon kam, ehe das Werk zu Ende gespielt war.