Ein Netzwerker der Aufklärung
Aurich. Was waren das für merkwürdige Sitten, mit denen Ludwig Freiherr von Vincke (1774 bis 1844) in Ostfriesland konfrontiert wurde, als er 1803 als Präsident der Kriegs- und Domänenkammer nach Aurich beordert wurde? Die Ostfriesen leisten – wohl ein Erbe der Friesischen Freiheit – keinen Militärdienst. Sie zahlen keine Steuern. Sondersteuern werden von den Ständen verwaltet. Diese lassen der Kammer keinen Gestaltungsspielraum. Eine Garnison gibt es nicht. Und die Verwaltung? „Die hat fast gar nichts zu tun, soll auch erbärmlich besetzt sein“, befürchtet der junge Beamte, der am liebsten gar nicht nach Ostfriesland kommen möchte. Als er aber nach nur einem Jahr abberufen wird, hadert er mit seinem Schicksal. Er hat Land und Leute liebgewonnen und möchte bleiben.
Ein facettenreiches Leben zur Zeit der Aufklärung entfalteten Schauspieler Markus von Hagen und die Historikerin Dr. Mechthild Black-Veltrup, Leiterin des Landesarchivs Nordrhein-Westfalen, Abteilung Westfalen, in einer Lesung und einem Begleitvortrag über den preußischen Verwaltungsbeamten und Reformer Ludwig Freiherr von Vincke.

Ludwig von Vincke

und Markus von Hagen
Warum ein Schauspieler? Weil der die Tagbucheintragungen von Vinckes mit gehörigem Nachdruck in Szene zu setzen vermochte. Vincke hatte nahezu täglich Vorkommnisse, Begegnungen und Gedanken in Tagebüchern notierte – über 55 Jahre hinweg. Auch die ostfriesische Zeit von 1803 bis 1804 findet sich dort wieder. Und aus dieser kurzen, aber für Ostfriesland durchaus bedeutsamen Phase las von Hagen. Da der Rezitator zudem dem Herrn von Vincke ähnlich sieht, wurde er von Mechthild Black-Veltrup auch mit diesem Namen angesprochen. Sie suggerierte damit – ohne jedes Kostüm oder Requisit – eine zwar fiktive, aber doch intime „Ausstattung“. Sie selber agierte als Kommentatorin, um die Tagebucheintragungen in den jeweiligen politischen, gesellschaftlichen und auch biographischen Zusammenhang einzuordnen.
Bereits 1997 hatten Archivrat Dr. Wolfgang Henninger und Archivar Dr. Wolfgang Knackstedt die schwer lesbare Schrift von Vinckes in den Eintragungen, die Ostfriesland betreffen, transkribiert und veröffentlichten den Text samt einem kommentierenden und einem einordnenden Teil im Emder Jahrbuch.
Und darin findet man dann auch den Hinweis, dass Vincke, der lieber draußen bei den Menschen war als am Schreibtisch zu sitzen, Leben in die Verwaltungsvorgänge brachte und somit gut zu tun hatte. Der Präsident habe bereits nach zwei Monaten festgestellt, dass ein breites Betätigungsfeld vor ihm lag – etwa der Bereich der Landgewinnung. Daneben aber habe von Vincke das gesellschaftliche Leben durchaus genossen. Insbesondere das Tanzen bereitete ihm so viel Freude, dass er die Namen seiner Partnerinnen ins Tagebuch aufnahm.
Von Vincke, so erfuhren die Besucher, sei ein Netzwerker gewesen. Er habe insbesondere Maßnahmen unterstützt, die das Leben erleichterten, war in wirtschaftlichen und sozialen Bereichen aktiv. Sein Tagebuch sei eine Quelle ersten Ranges. Allgemeine Geschichte verschränke sich darin mit persönlichen Erlebnissen. Man erlebe das alles hautnah mit, resümierte Mechthild Black-Veltrup. Aufgrund dieser Informationsvielfalt sei eine Edition in elf Bänden entstanden, der die Inhalte der Tagebücher bearbeitet und kommentiert zur Verfügung stellt. Die Edition soll auch Basis für eine noch zu schreibende Biographie sein.
Organisiert wurde die Veranstaltung vom Verein für Geschichte und Altertumskunde Westfalens, der Abteilung Münster des Landesarchivs NRW, der Historischen Kommission für Westfalen, dem Niedersächsischen Landesarchiv und der Ostfriesischen Landschaft.
► Die drei westfälischen Einrichtungen haben auch die elfbändige Edition „Die Tagebücher des Ludwig Freiherrn Vincke 1789-1844“ herausgegeben. Die einzelnen Bände tragen jeweils eine eigene ISBN
► https://altertumsverein-muenster.de/