Ein mythischer Ort der Friesen

Aurich. Was ist der Upstalsboom? Ein Hügel auf einem eiszeitlichen Geest-Rücken, sieben Meter hoch; ein Hügel, der bereits um 800 die Grabstätte einer offenbar bedeutenden, aber bis heute unbekannten Familie war. Ein Grab, das den Friesen wohl lebhaft im Gedächtnis geblieben ist. Vielleicht auch der „Altar der Freiheit“, als den ihn der ostfriesische Historiker Ubbo Emmius bezeichnete? Oder auch ein Freiluft-Theater für völkische Zusammenkünfte? Als solches von den Nationalsozialisten geplant, aber nie realisiert.

Referent Dr. Paul Weßels streifte in seinem digitalen Vortrag „Der Upstalsboom als Erinnerungsort“ viele Aspekte dieses bedeutsamen Versammlungsplatzes. Er sprach im Rahmen der gemeinsamen Veranstaltungsreihe von Landschaftsbibliothek, dessen Leiter er ist, und dem Niedersächsischen Landesarchiv Aurich.

2003 entwarf die Künstlerin Monika Kühling diese Installation für den Weg zum Upstalsboom.

Erinnerungsort, so erläuterte Weßels, sei ein Begriff des französischen Historikers Pierre Nora und suggeriere einen Ort, an der sich das kollektive Gedächtnis einer sozialen Gruppe kristallisiert und als „historisch-sozialer Bezugspunkt prägend für die jeweilige Erinnerungskultur ist“. Und so nahm Weßels jenen mythischen Ort aus unterschiedlichen zeitlichen Perspektiven in den Blick und erläuterte seinen 56 Zuhörern, die sich per Zoom zugeschaltet hatten, den symbolischen Charakter dieser Stätte, die sich – eben als Erinnerungsort – über Jahrhunderte im Gedächtnis der Menschen manifestiert hat.

Eng verknüpft mit dem Upstalsboom ist der Begriff der Friesischen Freiheit. Diese wurde den Friesen im 9. Jahrhundert verliehen. Diese „Freiheit“ ließ – auch aufgrund des genossenschaftlichen Miteinanders beim Deichbau -, keine feudalen Strukturen zu. Man organisierte sich in eigenständigen Landgemeinden, die sich am Upstalsboom trafen.

Trotz der Anerkennung des ersten Grafen von Ostfriesland als auch vom Volk erwünschten Landesherrn, blieb der Gedanke der Friesischen Freiheit erhalten. „Man lebte hier im Bewusstsein der besonderen Situation“, referierte Weßels. Doch diese Ausnahmesituation endet im 16. Jahrhundert, als die Auseinandersetzungen zwischen den Ständen und dem Grafen immer massiver werden.

Der Upstalsboom als Ort bei Rahe im heutigen Landkreis Aurich geriet mit den Jahrhunderten fast in Vergessenheit. Der Platz drohte im 18. Jahrhundert sogar, gänzlich vernichtet zu werden, als Bauern den Hügel umgraben wollten. 1815 soll der Upstalsboom Standort eines Freiheitskampf-Denkmals werden. So möchte es der Auricher Architekt Conrad Bernhard Meyer. Doch die Bemühungen, dafür Geld einzuwerben, scheitern. Erst 18 Jahre später entsteht die Steinpyramide als Gedenkstein für die Toten der Befreiungskriege, und das Gelände wird „etwas aufgehübscht“, wie Weßels sagte.

Als Aufkleber und als Autobahnschild bekannt: Ritter, Steinpyramide und Upstalsboom-Eiche.

In der Nazi-Zeit sollte der Upstalsboom zur Thingstätte umgebaut werden, einer Art Freilufttheater für völkische Veranstaltungen. Auch die Idee eines Aufmarschplatzes, die 1937 aufkam, ging wirkungslos am Upstalsboom vorbei. Es kamen und gingen – der Ostfriesentag 1950, der Friesenkongreß 1955, wo das „Friesische Manifest“ verabschiedet wurde. 2003 wurde der Gedanke der Friesischen Freiheit in den Mittelpunkt einer großen Ausstellung gestellt. Am Upstalsboom machte eine Installation von Monika Kühling, die sich heute auf dem Weg zum Kloster Ihlow befindet, auf die Rechtsordnung der Friesen aufmerksam.

Heute, so resümierte Paul Weßels, sei der Upstalsboom immer noch ein symbolischer Ort für die Friesen. Er werde durch die Arbeit des Friesischen Forums, eines Vereins, der sich unter anderem für den Erhalt der ostfriesischen Kultur engagiert, bewahrt. Zudem sei die Ostfriesische Landschaft seit 15 Jahren bestrebt, den Upstalsboom stärker ins Gedächtnis zu bringen – etwa mit Aufklebern und einem Autobahnschild, das in additiver Reihung einen mittelalterlichen Ritter, die Eiche und die Steinpyramide zeigt. Diese Ansicht sei, so betonte der Referent, mittlerweile zu einem „selbstverständlichen Symbol“ geworden.