Ein Schiffsuntergang aus musealem Blickwinkel

Heute wird die Ausstellung „Melanie Schulte – Schiff, Unglück, Mythos“ um 18.30 Uhr eröffnet

Emden. Der Ausstellungsraum im Ostfriesischen Landesmuseum ist nur 230 Quadratmeter groß, aber er wird eine Fülle von Aspekten rund um den bis heute ungeklärten Untergang des in Emden gebauten Mehrzweckfrachters „Melanie Schulte“ im Dezember 1952 präsentieren. Darüber wurde am Freitag (16. Dezember) im Rahmen einer Pressekonferenz informiert. Denn die Ausstellungsmacher geben sich nicht damit zufrieden, eine altbekannte Geschichte zu erzählen, sie wollen anhand zahlreicher Details neue Ansätze präsentieren. Dabei wollen sie aktive Fragestellungen in eine Ausstellung einbeziehen, die während der Laufzeit von gut einem Jahr an Wissen und Erkenntnissen wachsen soll.

Haben die Ausstellung konzipiert und die Inhalte beschafft: Jasmin Alley, Edzard Wagenaar und Aiko Schmidt. Bilder: OLME, Dietmar Kranz

Anlass war ursprünglich, dem lange geplanten Theaterstück „Melanie Schulte“, das Museumspädagogin Ilse Frerichs geschrieben hat und das Regisseur Werner Zwarte mit einem rund 50-köpfigen Ensemble im April nächsten Jahres aufführen will, einen musealen Background zu geben. Ilse Frerichs hat eine Handlung rund um die Seeamtsverhandlung entwickelt. Die Museumsleute erweitern diesen Aspekt und suchen aus heutiger Sicht nach Gründen für den Untergang. Sie untersuchen die Konstruktion des Schiffes, wühlen sich durch Originaldokumente, die in öffentlichen und privaten Archiven gefunden wurden, werten heute verfügbare Wetterdaten aus, beziehen die erst seit 1995 anerkannten sogenannten „Monsterwellen“ ein, schauen sich mögliche Schiffsrouten an, gehen der Beladesituation im norwegischen Erz-Hafen Narvik nach, fragen nach den Möglichkeiten der Kommunikation in damaliger Zeit, führten Gespräche mit den wenigen noch lebenden Zeitzeugen und den Nachkommen der 35-köpfigen Besatzung.

Um all diese Fragestellungen abzuklären, hat sich ein kleines Team um Museumsdirektorin Jasmin Alley gebildet. Es besteht aus dem wissenschaftlichen Mitarbeiter am Ostfriesischen Landesmuseum, Aiko Schmidt, und dem freien Kultur- und Medienschaffenden Edzard Wagenaar, der gemeinsam mit Tobias Bruns und Ayhan Salar dokumentarische Audio- und Videosequenzen aufgenommen hat – als Medium, um die Zeit der 50er wieder aufleben zu lassen. Das wird schon im Eingangsbereich deutlich werden, wo die Besucher durch eine „akustische Schleuse“ den Raum betreten.

Man müsse daran denken, sagt Wagenaar, dass Emden im Jahr sieben nach Kriegsende eine Trümmerstadt mit hoher Arbeitslosigkeit war. Die Schiffe der neuen „Emden-Klasse“ boten nicht nur den Werften, sondern auch den Seeleuten Arbeit. Da habe es dann letztlich keine Rolle gespielt, dass die „Melanie Schulte“ beim Stapellauf auf dem Helgen steckenblieb und damit dem Aberglauben der Seeleute Vorschub bot: „Dat is een Unglücksship, da gah ik neet drup.“ Letztlich aber habe sich doch eine Mannschaft zusammengefunden, die mit dem Frachter in See ging.

Das ist alles, was von der „Melanie Schulte“ übriggeblieben ist: Jasmin Alley mit einem Rettungsring des Frachters

In den Gesprächen, die Wagenaar zumeist in Hamburg führte, hätten sich dann die emotionalen Folgen des Unglücks ermitteln lassen, die auch 70 Jahre nach dem Untergang die Familien der „Melanie Schulte“-Fahrer belasten. „Viele haben auch abgelehnt, überhaupt noch einmal darüber zu sprechen.“ Zu denen, die reden wollten, gehört Heinz Esser. Der heute 92-Jährige war damals für die Anwerbung der Mannschaft zuständig, und er war es, der den Familien die Todesnachricht überbringen musste.

Aber auch die Nachkommen des 2. Offiziers, Arend Freerks, trugen viele Dokumente und Briefe bei. Ein ganz besonders erschütterndes Dokument soll auch gezeigt werden. Arend Freeks hatte ein Schmucktelegramm mit Weihnachtsgrüßen aufgegeben. Es erreichte die Familie am 21. Dezember zu einem Zeitpunkt, als die „Melanie Schulte“ schon untergegangen und Freerks nicht mehr am Leben war.

Flankiert wird die Ausstellung von sonntäglichen Vortragsveranstaltungen. So wird zum Beispiel eine Expertin des Helmholtz-Instituts über „Monsterwellen“ referieren, sagt Jasmin Alley. „Wir sind bereits mit diversen Institutionen und Experten im In- und Ausland im Kontakt.“ Die Ausstellung wurde von ihr und Aiko Schmidt konzipiert, und für die Ausstellungsgestaltung die Bremer Agentur Oblik engagiert. Die Hinzuziehung solcher Büros sei üblich, wenn man im heutigen musealen Betrieb bestehen und Publikum anziehen wolle.

Das Museumsteam geht von hohen Besucherzahlen aus – auch überregional. Schließlich gilt der Untergang der „Melanie Schulte“ als eines der größten Schiffsunglücke in der deutschen Handelsmarine der Nachkriegszeit.

► Die Ausstellung „Melanie Schulte – Schiff, Unglück, Mythos“ im Ostfriesischen Landesmuseum wird am
21. Dezember um 18.30 Uhr im Rummel des Rathauses am Delft eröffnet.
► Sie läuft bis zum 28. Januar 2024
► Öffnungszeiten Di bis So jeweils 10 bis 17 Uhr
► Geschlossen: 24. / 25. / 31. Dezember sowie am 1. Januar 2023
► Förderer: EWE-Stiftung, Niedersächsische Sparkassenstiftung, Ostfriesische Landschaft, 1820dieKUNST, Emder Hafenförderungsgesellschaft e.V. Seaport Emden, Freundes- und Förderkreis des Ostfriesischen Landesmuseums

Die „Melanie Schulte“
Gebaut: Nordseewerke Emden
Stapellauf: 9. September 1952
Indienststellung: 9. November 1952
Eigner: Reederei Schulte und Bruns und Investor Alfred Toepfer
Heimathafen: Hamburg
Letzte Position: am 21. Dezember 1952 zur Mittagszeit – 58 Grad 22 Minuten Nord
und 9 Grad 33 Minuten West, rund 90 Seemeilen nordwestlich der
schottischen Inselgruppe Äußere Hebriden
Letztes Lebenszeichen: per Funk am 21 Dezember, 23 Uhr
Fundstücke: Rettungsring – gefunden an der Küste von Benbecula, Holzplanken
und Tür des Funk-Raumes, die Holzteile wurden verbrannt, nachdem
sie als Asservate nicht mehr benötigt wurden
Seeamtsverhandlung: 23. April 1953, am nächsten Tag aus dem Schiffsregister gestrichen