Krisen, Streit und Überforderung

Historiker Heiko Suhr sprach im Forum der Ostfriesischen Landschaft über das Ostfriesische Landesmuseum zwischen 1966 und 2000.

Aurich. Ein Vortrag über das Ostfriesische Landesmuseum zwischen 1966 und 2000 – da rattert der Denkapparat aber los. Das ist doch die Zeit, die man selber miterlebt hat, und die Namen sind noch bekannt und teilweise sitzen die Leute, über die da gesprochen wird, hier im Saal.

Für einen Historiker wie Heiko Suhr, der hauptberuflich das Archiv der Stadt Wesel leitet, ist das keine alltägliche Situation – Informationen weniger aus Archiven und alten Dokumenten erfahren, statt dessen durch persönliche Gespräche, sich irgendwo zwischen Zeitgeschichte und privaten Erinnerungen zu bewegen. Wie leicht kann sich der Gesprächspartner irren? Wie leicht tauchen in der Vergangenheit rosa Schleier auf, die womöglich geeignet sind, eine Geschichte in eine Parallelspur zu setzen? Ein Risiko, das man eingeht, wenn man sich in den Bereich der Gegenwart begibt, und was sagt das über die Tradierung der Vergangenheit aus?

Konrad Ullmann in der Rüstkammer des Ostfriesischen Landesmuseums Emden. Bild: OLME Fotosammlung

Suhr begann chronologisch – bei Museumsdirektor Konrad Ullmann, der 1966/67 im Amt war, als Waffen-Experte galt, sich aber auch erstmals mit Strategien befasste, um das Museum zu modernisieren und das Amt des Museumsleiters vom Einfluß des Vorstandes der Gesellschaft für bildende Kunst und vaterländische Altertümer zu lösen. Doch damit stieß er bei diesem Gremium auf erbitterten Widerstand, beschrieb Suhr in seinem Vortrag vor auffallend wenigen Besuchern. Ullmann habe schon damals die Probleme benannt. Doch statt auf seine Bedenken zu hören, nahm man ihm jeden Handlungsspielraum, und er wurde derart mit Arbeit überhäuft, dass er in einem Brief an die Stadt forderte: Man möge ihm wenigstens einmal im Monat einen freien Sonntag gewähren. 1967 tritt Ullmann zurück. Sein Leben endet tragisch. Er begeht Suizid.

Die Arbeitsüberlastung im Museum bleibt. Das bekommt auch der neue Museumsdirektor zu spüren. Dr. Helmut Eichhorn übernimmt 1968 – und bleibt nahezu 30 Jahre in einem Amt, das tatsächlich drei Stellen umfasst. Er ist Museumsdirektor, Archivleiter, Leiter des städtischen Kulturamtes, er soll nicht nur Ausstellungen machen, sondern auch wissenschaftliche Vorträge halten, die Dienstagssitzungen mit Vorträgen bereichern, persönliche Führungen anbieten, der Kunst als Reiseleiter dienen, die Rüstkammer betreuen, Drittmittel beschaffen, das Haus voranbringen. Kurz: gesucht wird ein Superman, der die Vorstellungen der Kunst in Gänze bedient. Als „Diener zweier Herren“ steht Eichhorn zwischen den beiden Trägern des Landesmuseums, der Stadt und der KUNST. Er soll Wunschvorstellungen erfüllen, die fern aller Realität sind – was auch jeder im KUNST-Vorstand weiß – und Aufgaben, die ihm keine Zeit mehr für die konzeptionelle Arbeit lassen.

Érste Ausstellung, die Detlef Hoffmann kuratierte: „Fregatte, Logger, Brigg und Buise“

Suhr durchstreift die Jahre dieser KUNST-Epoche mit akribischer Genauigkeit – und legt einen Schwerpunkt auf jenes Gutachten, dass dann einen Wandel einleitet – das sogenannte Hoffmann-Gutachten, das das Landesmuseum mit einer vernichtenden Kritik überzieht. Geschrieben wurde es von dem Kunsthistoriker Detlef Hoffmann (1940 bis 2013), der zu jener Zeit in Oldenburg tätig war. In dem Papier werden Verbesserungsvorschläge gemacht, die Eichhorn allerdings schon zu Beginn seiner Amtszeit entwickelt habe, sagte Suhr. Nun allerdings richten werden sie zum Vorwurf gegen den Museumschef, dem nicht gelungen war, seine Ideen umzusetzen.

Und schließlich ist es Detlef Hoffmann, der gemeinsam mit zwei Studentinnen Ausstellungen in Emden macht. Eichhorn wird nicht einbezogen. Er habe dulden müssen, dass man über seinen Kopf hinweg Neues zu implementieren versucht. Unter anderem sei es auch darum gegangen, für eine Neugestaltung des Landesmuseums Zuschüsse abfließen zu lassen.

Eine Änderung sei eingetreten, als Dr. Heinrich Kleinschmidt Vorstand wurde. Als Politiker habe der kein Interesse gehabt, in den Museumsbetrieb einzugreifen. Statt dessen habe er mit einem eigenen Papier den Weg zur Modernisierung und Professionalisierung des Museums geöffnet und auch das Binnenverhältnis der Träger geregelt, gesteht Suhr ihm zu.

1996 tritt Dr. Friedrich Scheele sein Amt an – vorerst nicht als Direktor, sondern als wissenschaftlicher Mitarbeiter, beauftragt mit dem Erstellen einer Neugliederung und Bestandssichtung. Ein Jahr später geht Eichhorn in den Ruhestand – und Scheele wird sein Nachfolger. Gegangen sei Eichhorn als „tragische Gestalt“, sagte Suhr. Dennoch: „Was er in den drei Jahrzehnten seiner Amtszeit geleistet hat, kann man nicht hoch genug bewerten.“ Gregor Strelow, aktuell Vorsitzender der KUNST widersprach dem Begriff „tragisch“. Das könne man nicht stehen lassen.

Blick in das alte Magazin des Landesmuseums im Keller des Rathauses am Delft. Bild: Archiv

Scheele schilderte sodann selber, wie riesig die Aufgabenstellung gewesen sei, die er vorfand. Eine Hilfe sei es gewesen, „viele gute Leute nach Emden holen zu können – wie etwa Annette Kanzenbach“. Ihm selbst seien durch den damaligen Generalsekretär der Stiftung Niedersachsen, Dr. Dominik Freiherr von König, und Sabine Schormann, zu jener Zeit Direktorin der Niedersächsischen Sparkassenstiftung, viele Türen geöffnet worden. Die beiden hätten das Projekt der Umgestaltung des Ostfriesischen Landesmuseums nachhaltig mitgetragen und es ihm ermöglicht, das Projekt an vielen Stellen vorzustellen – und schließlich zu realisieren.