Unvorstellbares feinsinnig präsentiert

Emden. Zum dritten Mal erging am Mittwoch die Einladung zur Passionsandacht im Rummel des Ostfriesischen Landesmuseums. Das Thema: „Christus vor Pilatus – Macht und Wahrheit“. Im Passionszyklus des Malers Hans II Coningsloo, um den es bei den diesjährigen Andachten geht, ist es das vierte jener zehn Bilder, die sich erhalten haben. Interpret Dr. Wolfgang Jahn stellte die Szene in das Spannungsfeld zwischen den Auffassungen des obersten Priesters am Tempel zu Jerusalem, Kaiphas, einem Juden, und dem römischen Statthalter Pontius Pilatus. Der eine fordert Jesu Tod, der andere hat kein Interesse daran, denn „er findet keine Schuld“.

Gerichtsszene: Christus vor dem Römer Pilatus, der „keine Schuld an ihm“ findet

Die Römer hätten tatsächlich kein Problem damit gehabt, fremde Religionen zu akzeptieren, sagte Jahn, Und Pilatus wollte sich daher mit dem Fall „Jesus“ nicht befassen. Jesus hätte dem römischen Reich auch nicht gefährlich werden können, weil er ja angemerkt hatte, dass sein Reich „nicht von dieser Welt sei“. Doch der Hohe Rat, von dem Pilatus abhängig war, hätte sein Urteil schon vor der Verhandlung gefällt, und so sei Pilatus nichts anderes mehr übriggeblieben, als Jesus nach römischen Recht abzuurteilen: Geißelung und Kreuzigung.

Es gelang Jahn, das Geschehen, wie es sich auf der Gemälde-Leinwand darbot, geschickt mit einer Fülle von Informationen zur Zeitgeschichte, zum römischen Recht, zum jüdischen Ritus zu spicken. Dabei drehte und wendete er das Thema, bezog auch den ersten Teil des apokryphen Nikodemus-Evangeliums, die sogenannte Pilatusakte, mit ein und endete mit der Fragestellung, die den ganzen Vortrag begleitete: Was wäre geschehen, wenn Pilatus das Todesurteil nicht gesprochen hätte?

Die Zweifel sind ihm am Gesicht abzulesen: Pontius Pilatus

Pastorin Vera Koch wählte eine eigenwillige Zugehensweise auf das Thema. Statt eine Predigt zu halten, hatte sie einen Brief geschrieben. So baute sie das Gerichtsgeschehen, die Zweifel, das ganze Unbehagen des Pilatus in einen fiktiven Brief des Statthalters an seinen ebenfalls fiktiven Freund Titus ein. „Ich hatte mir ihn (Christus) anders vorgestellt. Er sah aus wie ein normaler Mensch.“ Doch habe den Angeklagten eine besondere Aura umgeben. Und Vera Koch lässt Pilatus das erschütternde Eigenurteil sprechen: „Ich habe ein Urteil gesprochen – über einen Unschuldigen!“

Auffallend bei dieser Andacht war, wie perfekt die interpretierende dabei aber nüchterne Bildbeschreibung und die fiktiven, emotional geprägten Aussagen sich zu einem vielschichtigen Ganzen verwoben. Anteil an der feinsinnigen Darstellung eines unvorstellbaren Ereignisses hatten auch Kantor Mark Waskowiak (E-Piano) und seine Tochter Marie Waskowiak (Querflöte), die mit Bach (Flötensonate Nr. 6), Telemann (Fantasie für Flöte solo) und Fauré (Fantasie op. 79) einen musikalischen Anteil boten, der das Geschehen auf eine klangvolle und dennoch individuelle Weise weitete.

► Die nächste Andacht findet am 15. März um 18.15 Uhr im Rummel des Rathauses am Delft statt.