Aufbruch nach Absurdistan

Aurich. Helge Schneider und Band in Aurich – das wollten 1500 Ostfriesen miterleben. Und so war die Sparkassen-Arena gut gefüllt, als die Vier als vermeintlich alte Herren absichtsvoll auf die Bühne schlurften. Was sich in den folgenden zwei Stunden dann aber auf dieser Bühne abspielte, hatte mit „alt“ nicht das mindeste zu tun – allenfalls mit einer hanebüchenen Absurdität, vor allem aber mit exquisitem Jazz und einer großen Fähigkeit zur Improvisation.

In Aktion: Helge Schneider. Bilder: Karlheinz Krämer

Wenn Schneider zum Saxophon greift, wenn er das Vibraphon rundum bespielt, die elektrische Orgel einbindet, unterschiedlichste Percussionsgeräte einsetzt oder gar gleichzeitig trompetet und Klavier spielt, dann ist das stets ein neues Überraschungsmoment. Seine Band ist angesichts der Spontaneität ganz schwer auf Zack und weiß den Eskapaden Schneiders geschickt zu folgen. Sandro Giampietro (Gitarre), Willy Ketzer (Schlagzeug) und Reinhard Glöder (Kontrabass) erweisen sich so als ungemein beweglich im Reagieren auf Schneiders gewollt schräge Attitüden.

Eingebettet in das hochmusikalische Programm, das Traditionals der Jazzmusik zitierte, aber auch Eigenkompositionen bot, waren die von ihm selbst komponierten „Lieder mit Musik“ etwas, worauf das Publikum besonders gewartet hatte. Bei „Katzeklo“ sangen die meisten mit, bei „LotC“ (Love on the Couch) amüsierten sich alle prächtig, bei dem Song „Der Zauberer“ wusste man nicht recht, ob die Musiker gerade ihre Instrumente stimmen oder wirklich spielen. Solche Situationen „neben der Spur“ provozierte Schneider reihenweise – mal laut, mal leise, mal brabbelnd, mal singend, mal pfeifend. Ja, auch das beherrscht der „Letzte Torero“ mit wunderbarer Perfektion.

Seine Moderation lebt von schrägen Statements: Beyonce, die nach ihren Konzerten Waffelbruch nascht, Céline Dion, die sich ein Spiegelei brät, Karel Gott, der Schneider eine Showtreppe vermachte, Tina Turner, die ihm ihre Nebelmaschine stiftete. Wenn Schneider von sich selber behauptet, er finde „Sinn im Unsinn“, dann gehören solche wilden Histörchen ganz sicher dazu.

Inniges Zwiegespräch: Helge Schneider mit dem Saxophon und Sergeij Gleithmann mit der Geige

Der Titel seiner Show ist natürlich genauso Fake wie die Erwartung, ihn im Stierkampf-Kostüm auf der Bühne zu sehen. Schneider, genannt „Helge“, erscheint in einem Anzug, den man heute wohl als „Vintage“ bezeichnet – natürlich mit Krawatte. Auf dem Kopf sitzt wahlweise ein Strohhut oder eine Perücke. Und den titelgebenden Song, den gibt es als Zugabe, wobei Schneider demonstriert, dass er auch ausgezeichnet Gitarre spielen kann.

Auch mit der Perücke auf dem Kopf ist der Künstler noch erkennbar

Noch eine Absonderlichkeit im Programm ist ein langbärtiger, stark tätowierter Mensch namens Sergej Gleithmann, der als Tänzer angekündigt ist, zunächst nur ab und an aus dem Hintergrund winkt, dann auf einer Geige gekonnt schauerliche Töne hervorbringt, und letztlich Bodenturnen vorführt, wobei man um die Gesundheit des fragil wirkenden „Greises“ fürchtet. Doch auch dieser Auftritt gehört zum Gesamtkonzept des Abends, und das Publikum ist anscheinend wohlvertraut mit den irrlichternden Personen um einen Künstler, der neben seinen musikalischen Fähigkeiten und der Kunst des Entertainments auch noch hoch theatrale Qualitäten aufweist.

Der Musiker, Kabarettist, Schriftsteller, Entertainer spielt nahezu jedes Instrument

Großer Applaus am Schluss – und die Erkenntnis, dass dieser Aufbruch nach Absurdistan auch Menschen begeistern kann, die sich vorher nur ein vages Bild von Helge Schneider gemacht haben.

Das Telefon wurde für den Song „Telefonman“ benutzt, der künstliche Blumenstrauß für „Hunderttausend Rosen“