Feuerwerk an Virtuosität
Rysum. Nicht Mozart, nicht Chopin, nicht Bach, nicht Beethoven – nein, Alexey Lebedev ergab sich der Musikermühe des täglichen Übens erst, als er sich näher mit den Kompositionen von Josef Haydn beschäftigte. Davon plauderte der Pianist, heute Professor an der Universität im koreanischen Busan, nach dem Abschluss des offiziellen Konzertes, das er anlässlich des 20-jährigen Bestehens der Reihe „Weltklassik am Klavier“ im Rysumer Fuhrmannshof gab.
Dass Lebedev eine Neigung zum Erzählen hat, konnte man anfangs kaum vermuten. Da trat ein gestreng aussehender, großer Herr im formvollendeten schwarzen Anzug und Lackschuhen auf die kleine Bühne des Fuhrmannshofes und nahm am Schimmel-Flügel Platz.
Ernst verbeugte er sich, um dann ein Feuerwerk an Virtuosität zu zünden. Lebedev hat eine atemberaubende Technik und kann das Tempo beliebig steigern. Seine geschmeidigen Finger machen alles mit, gestalten die Mazurken Chopins zu kleinen Ereignissen, lassen die Waldstein-Sonate Beethovens im ersten Satz in so hohem Tempo passieren, dass das Publikum im Fuhrmannshof sich einen bewundernden Zwischenapplaus gestattete, der mit Grandezza zur Kenntnis genommen wurde. Schließlich bewältigte Lebedev auch Liszts komplexe Sonate in h-Moll mit unglaublicher Sicherheit. Manchmal wünschte man sich etwas mehr innere Wärme in der Ausgestaltung. Auf der anderen Seite ist seine Technik derart brillant, dass man – hemmungslos genusssüchtig – in den Wunsch nach mehr verfällt.
Dieses „Mehr“ gab es tatsächlich in den Zugaben. Nach dem 1. Satz aus der Haydn-Sonate Nr. 50 erklang die erste Mazurka von Chopin, ein Jugendwerk, versehen mit der Opus-Zahl 6. Viel Beifall gab es am Ende für eine Leistung, die ihresgleichen sucht.
Die Organisatorin und Gastgeberin der Rysumer Veranstaltung ist Kathrin Haarstick, und die zeigte sich stolz darauf, dass sie vor 20 Jahren die Reihe begründen konnte, die heute in einer Vielzahl kleiner Orte im Bundesgebiet veranstaltet wird. 3000 Konzerte in 44 Orten mit 150 000 Gästen seien in den zwei Jahrzehnten zusammengekommen, sagte Haarstick und erklärte, dass man Alexej Lebedev gewonnen habe, den Platz des verstorbenen Pianisten Lars Vogt als einer von drei Schirmherren und Berater zu übernehmen.
Lebedev habe – nicht nur deswegen – auf sein Honorar verzichtet und dieses einer neuen Aktivität von Kathrin Haarstick zur Verfügung gestellt. Sie will – mit Bürgern, Freunden und Bekannten – eine Genossenschaft im Dorf aufbauen, die sich um gemeinsames, generationenübergreifendes Wohnprojekt kümmert. Der benötigte Ort ist schon da: ein Bekannter kaufte einen der leer stehenden Gulfhöfe im Dorf. Dort soll die Genossenschaft „Gulfhof Rysumer Lü“ beheimatet werden.