„Gleich hebt das Dach ab!“

Rysum. Vier symphonische Dichtungen – und dann ein Danse Macabre. Das Programm bei der „Weltklassik“ im Rysumer Fuhrmannshof war alles andere als „mono im Ton“. Zwar war in allen fünf Fällen Franz Liszt der Schöpfer, doch boten die Werke eine große Breite des Ausdrucks. Zwischen schönen Klängen und abstrakter Artikulation war so ziemlich alles dabei. Gekrönt wurde der Auftritt des Klavier-Duos Chie Tsuyuki und Michael Rosenboom von einem Werk, das ebenso fantasievoll wie dynamisch präsentiert wurde: der „Totentanz“ von Franz Liszt, eine Paraphrase über das „Dies Ira“ in einer Transkription der Ausführenden.

„Gleich hebt das Dach ab, oder es passiert etwas ganz anderes“, hatte die Gastgeberin und Initiatorin der „Weltklassik am Klavier“, Kathrin Haarstick, zuvor angekündigt. Und die Richtung stimmte schon. Denn das Pianisten-Ehepaar stürmte mit ihrer Interpretation alle Maßstäbe. Es agierte direkt im Klavierkorpus, ließ vergessen, dass die Tasten über eine Mechanik verfügen, die man gegen einen Widerstand betätigen muss, und dass die menschliche Fähigkeit, Tempo zu definieren, ihre Grenzen kennt.

Das Duo ist derart perfekt aufeinander eingespielt, dass alle möglichen Vorbehalte umgehend fallen. Der Totentanz wird zu einem Ritt durch Himmel und Hölle, in dem Knochen gläsern aneinanderschlagen oder dumpf in der Erde pochen. Der Tod reißt seine Opfer mit in einem wilden Gerangel, das sich in der Interpretation von Tsuyuki / Rosenboom immer turbulenter entfaltet, immer wilder alles mitnimmt, was im Wege steht.

Den beiden Pianisten verlangte die spezielle Interpretation einiges ab: teilweise arbeiteten sie mit einer Hand im Klavier, während die andere zeitgleich einhändig auf den Tasten agiert. Und wenn schon die Tasten genutzt werden, dann in einem enormen Tempo und über den eigenen Bereich hinaus. So langten beide immer wieder in den Spielbereich des anderen oder spielten mit gekreuzten Händen. Ein spektakuläres Programm! Denn auch die anderen Werke boten enorme Schwierigkeitsgrade, auch wenn die beiden leichterdings darüber hinweggingen und mit traumwandlerischer Leichtigkeit agierten.

Erst für die Zugabe nutzten die beiden Noten. Es erklang Brahms‘ zweiter ungarischer Tanz. Und so standen sich ein Vertreter der Neudeutschen Schule und ein Hochromantiker musikalisch direkt gegenüber. Allerdings entstand kein Wettbewerb, sondern ein temperametvolles Miteinander, das getragen wurde von einem Paar, das sein künstlerisches Handwerk meisterlich versteht.