Der stille Netzwerker

Zum Tod von Bernhard Parisius

Aurich. Es war 1995, jenes Jahr, in dem Emden mehrere Stadtjubiläen feierte, die Johannes a Lasco Bibliothek eröffnet wurde, die Beckerath-Orgel in der Martin-Luther-Kirche erstmals erklang. Da wurde in Aurich, im damaligen Niedersächsischen Staatsarchiv, ein neuer leitender Archivar eingeführt. Dr. Bernhard Parisius (Jahrgang 1950) kam als Nachfolger von Dr. Walter Deeters nach Aurich. Kompetent in seiner beruflichen Auffassung, freundlich und zugänglich in seiner Wesensart, aufgeschlossen allem Neuen gegenüber, machte sich der gebürtige Oldenburger, der zuvor als stellvertretender Leiter des Staatsarchivs Osnabrück tätig gewesen war, daran, die ostfriesische Geschichte zu erobern.

2015 wurde Professor Dr. Bernhard Parisius von der Präsidentin des Niedersächsischen Landesarchivs, Christine van der Heuvel (links) verabschiedet. Rechts: Astrid Parisius. Bild: Archiv Ostfriesische Landschaft, Reinhard Former

Als er 20 Jahre später in den Ruhestand trat, da kamen zu seiner Verabschiedung Gäste und Weggefährten in Fülle. Der stille Netzwerker hatte das Staatsarchiv in entspannter Gelassenheit geöffnet, mit anderen Einrichtungen verknüpft, immer wieder Fördergelder beschafft, die regionale Geschichtsschreibung gefördert und durch private Leihgaben den Bestand des Archivs an individueller Überlieferung gestärkt. Neben seiner Arbeit in Aurich war der Historiker auch wissenschaftlich tätig und lehrte an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, wo er nach seiner Habilitierung zunächst als Privatdozent, dann als Honorarprofessor tätig war.

Einmal im Jahr lud Parisius zur Pressekonferenz ins Staatsarchiv ein. Es galt, das Emder Jahrbuch, dessen Redaktionsleiter er war, vorzustellen. Es waren denkwürdige Veranstaltungen. Natürlich ging es um das Jahrbuch. Aber er hatte auch stets etwas Neues vorzustellen: besondere Bücher oder Dokumente, neue Mitarbeiter, anstehende Projekte. Bei Tee und Plätzchen – eine Tradition, die Parisius‘ Nachfolger Dr. Michael Hermann ganz selbstverständlich fortsetzt – kam man ins Plaudern. Es waren zumeist dieselben Kollegen, die sich im Staatsarchiv trafen, und mit den Jahren bildete sich ein nahezu fester Kreis von Redakteuren, der sich auf diesen Termin richtig freute, weil Parisius mit seinem Schmüsterlächeln unwiderstehlich gute Stimmung verbreitete, und nicht allein die sachliche, sondern auch die menschliche Ebene sich von ihm sympathisch angesprochen fühlte.

Die Zahl der beruflichen Verpflichtungen des Archivleiters war groß und wurde mit den Jahren immer größer. Er war Initiator und wissenschaftlicher Leiter der „Gnadenkirche Tidofeld, wissenschaftlicher Berater der „Stiftung Wirtschaftsarchiv Nord-West-Niedersachsen“. Er gab – gemeinsam mit der Ostfriesischen Landschaft – die „Abhandlungen und Forschungen zur ostfriesischen Geschichte“ und die „Quellen zur Geschichte Ostfrieslands“ heraus, organisierte – ebenfalls in Zusammenarbeit mit der Ostfriesischen Landschaft – Veranstaltungen zur ostfriesischen Geschichte, war beteiligt an der Entwicklung von Datenbanken, deren Themen zugleich seinen eigenen Fokus und die von ihm erkannten Notwendigkeiten widerspiegelten.

Seine wissenschaftliche Leidenschaft galt schwerpunktmäßig der Sozial- und Migrationsgeschichte, zu der er auch publizierte. Schon seine Doktorarbeit hatte sich 1982 mit der Arbeiterbewegung im Herzogtum Oldenburg beschäftigt. Seine Habilitationsschrift befasste sich 2004 mit „Flüchtlingen und Vertriebenen im westlichen Niedersachsen“.

Parisius wurde am 15. Oktober 2015 in den Ruhestand verabschiedet. Die hohe Wertschätzung ihm und seinen Fähigkeiten gegenüber drückten Mitarbeiter und Kollegen damals mit der Überreichung der Festschrift „Das 20. Jahrhundert im Blick“ aus.

Nun ist Professor Dr. Bernhard Parisius nur acht Jahre später – am 2. Oktober 2023 – verstorben.