Eine tödliche Emder Geschichte

Emden. Am 19. August 1853 kommt es in der Kirchstraße zu einem Unfall, der Emden so aufwühlt, dass er bis heute im Gedächtnis der Menschen geblieben ist. Dr. Klaas-Dieter Voß, Wissenschaftler in der Johannes a Lasco Bibliothek, hat diese Geschichte, die unter einem Grabstein des 16. Jahrhunderts endet, nachrecherchiert.

Das Grabmal des 16. Jahrhunderts deckt das Grab des Johann Biermann aus dem 19. Jahrhundert

Der 19. August 1853 ist ein Freitag, als der Maurergeselle Johann Biermann vom Turm der Großen Kirche herunterstürzt. Der 31-Jährige soll gerade beim Frühstücken gewesen sein, als er den Halt verlor. Offenbar war er aber nicht sofort tot. Denn das „Verzeichnis der Begrabenen“ der reformierten Gemeinde verzeichnet 18 Uhr als Todesstunde. Man hatte den Mann in die Schulstraße gebracht, wo er bei seinen Eltern Jan Peters Biermann und Aleid G. Ross starb. Im Verzeichnis steht: „Gestorben in Folge eines Falles oder Sturzes vom Thurme der Großen Kirche“.

Johann Biermann wird in auffälliger Eile bestattet. Bereits am 22. August findet die Beerdigung statt – auf dem Kirchhof in der Nähe seines Arbeits- und Absturzplatzes. Die Gruft deckt – offenbar weil es kein Geld für einen eigenen Stein gab – seither ein Grabstein des 16. Jahrhunderts. Der Blaustein zeigt das Bildnis eines Mannes mit Kniebundhosen, weist aber keine Umschrift mehr auf. Heute sammelt sich Wasser auf dem zerbrochenen Stein, Gras wächst aus der offenen Fuge.

Aus dem Eintrag im Begräbnisbuch von links nach rechts gelesen: den neunzehnten August abends sechs Uhr (Todeszeit), gestorben in Folge eines Falles oder Sturzes vom Thurm der großen Kirche. Rechts der Hinweis auf den Tag der Beerdigung: den 22ten August 1853

Der Sturz des Johann Biermann erfolgte bei Ausbesserungsarbeiten am baufälligen Turm, der schließlich zwei Jahre nach dem Unfall ganz abgetragen wurde. Er soll sich damals stark geneigt haben. Das war 1855. Doch schon zuvor war der Turm baufällig gewesen. 1779 brach ein Balken in der Glockenstube, einige der insgesamt zwölf Glocken fielen hinunter und zerbarsten. Die Gemeinde verkaufte das Material und auch die noch intakten Glocken.. Der Ertrag war so groß, dass mit dem Geld die Wenthin-Orgel gekauft werden konnte, die dann im Dezember 1943 mit dem Kirchengebäude verbrannte. Außerdem wurde eine barocke Kanzel angeschafft – ebenfalls ein Kriegsverlust. Und zuletzt war noch genügend Geld vorhanden, um die drei großen Kronleuchter zu kaufen, die heute wieder in der Nachfolgerin der Großen Kirche, der Johannes a Lasco Bibliothek, hängen. Statt des Turmes aber erhielt die Große Kirche an ihrer Ostseite einen Dachreiter mit einer Stundenglocke.

Das Gebäude ganz links ist die Große Kirche mit den vier Giebeln des Langhauses und dem mächtigen Chorgebäude, auf dem der Dachreiter noch eben zu erkennen ist.

Der Turm wurde schließlich doch noch erneuert und der Dachreiter verschwand wieder. 1861 stand der neue Turm, der dann 1943 zerstört und 1964/65 in neuer Form wieder aufgebaut wurde.