Warum Leer keine Stadt werden wollte

Emden. Leer feiert das 200-jährige Bestehen als Stadt. Warum so spät? Und ist es korrekt, dass diese Verzögerung ihren Grund in der Geschichte hat und zusammenhängt mit dem Emder Stapelrecht? Wobei das Stapelrecht im Mittelalter das Recht einer Stadt bedeutet, von durchziehenden Kaufleuten zu verlangen, dass sie ihre Waren für einen bestimmten Zeitraum auf dem örtlichen Stapelplatz zum Verkauf anbieten.

Conrad Bernhard Meyer, Leer von der Sägemühle aus gesehen, 1768

Aiko Schmidt, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Ostfriesischen Landesmuseum, gab darauf eine eindeutige Antwort. In einem Vortrag am Dienstag kam er zu dem Schluss: „Nein, da gibt es keinerlei Zusammenhang.“ Vielmehr habe die verspätete Ernennung der Ledastadt Gründe, die in der Bevölkerung liegen. Man habe schlicht kein Interesse dran gehabt, Stadt zu werden, weil damit Verpflichtungen und Kosten einher gegangen wären.

So erlebte Schmidt, wie er selber berichtete, dass er für seinen Beitrag keine Veröffentlichungsmöglichkeit im Rahmen des Jubiläums fand. Er werde ihn aber auf jeden Fall noch publizieren, kündigte Schmidt an. In seinem vielschichtigen Referat ging er zeitlich weit zurück – bis in das erste Drittel des 15. Jahrhunderts reichten Emdens Bemühungen, das Stapelrecht für die Stadt zu erhalten. König Maximilian genehmigte die Bitte schließlich am 4. November 1494.

Ludwig Rohbock gestaltete 1858 diese Ansicht Leers

Schmidt geht aber davon aus, dass das Stapelrecht Emdens deutlich älter ist und in die Zeit der Hamburger zurückreicht. Und so entwickelte sich ein Handelszweig, der für Emden, das über den Stapel verfügte, Glück bedeutete, für die Nachbarn aber zum Fluch wurde. Dabei scherten sich die Emder kein bisschen um den Willen der Landesherrschaft, erläuterte Schmidt. Die ihrerseits war beständig bestrebt, das Stapelrecht zu unterminieren. So habe es immer wieder Anläufe gegeben, das Privileg außer Kraft zu setzen. Doch auch unter den Preußen blieb zunächst alles beim Alten, bis Emden gegen Mitte des 18. Jahrhunderts das Stapelrecht verlor und zum Freihafen wurde. Allerdings fiel der stapellose Zustand für Leer keine wirklichen Vorteile. Die Schiffer mussten für die Vorbeifahrt nun eine Entschädigung zahlen. Die Franzosen hoben allerdings 1808 das Stapelrecht dann endgültig auf.

Schmidt garnierte seinen Vortrag mit einer Menge von Fotographien aus dem Bestand des Ostfriesischen Landesmuseums und zeigte so Entwicklungsstränge von einem Ort auf, der partout keine Stadt werden wollte. So lehnten die Bürger Angebote, nun endlich den Schritt zu tun, immer wieder konsequent ab. Die Bürger wollten eben preiswert leben und keine Abgaben und Steuern zahlen.