„Ich würde mich sonst im Kreis drehen!“

Leer. Ruhestand!? Der Schreibtisch spricht von etwas anderem. Dr. Paul Weßels, ehemaliger Leiter der Bibliothek der Ostfriesischen Landschaft in Aurich, hat noch eine Menge zu tun. Und das findet er gut. „Ich würde mich sonst im Kreis drehen.“ Es gibt immer noch Dinge, die zu erledigen, Themen, die während des Dienstes liegen geblieben sind. Und dann kommen auch noch Anfragen. Doch da bleibt Weßels hart. Er möchte zwar gerne wissenschaftlich weiterarbeiten, aber sich möglichst nicht festlegen. Die Familie soll nun auch zu ihrem Recht kommen.

Im heimischen Arbeitszimmer: Historiker Dr. Paul Weßels

Hat er bedauert, aus Altersgründen in den Ruhestand gegangen zu sein? Ein entschiedenes „Nein!“. Die Pflichten sind vorbei. Jetzt komme die Kür, sagt Weßels. Die lästigen Dinge des Jobs sind Vergangenheit. Dennoch gibt es Arbeiten, die noch erledigt werden wollen. Aber gemach.

Weßels war studierter Gymnasiallehrer für Deutsch und Geschichte, der sein Referendariat in Leer absolvierte. Da es Lehrer zu jener Zeit wie Sand am Meer gab und der Staat für die nächsten zwei Jahrzehnte keine Möglichkeit zur Einstellung sah, suchte Weßels nach beruflichen Alternativen. „Es gab damals die Maßnahmen zur Arbeitsbeschaffung. Zum Glück!“ berichtet der Pädagoge. Er arbeitete in Projekten in Holtland und Hesel / Kloster Barthe, in Midlum. Er kam mit der Geschichte Ostfrieslands hautnah in Berührung – und das gefiel Weßels so gut, dass er seine Erfahrungen in Form einer Dissertation niederlegte. Seine Arbeit, die er ebenso wie das Volontariat und seine andere Aufgaben stets zum Abschluss brachte, fiel auf. Und er bekam das Angebot, im damaligen Niedersächsischen Staatsarchiv Aurich eine – zunächst befristete – berufliche Zukunft zu finden. Seine Verträge wurden immer wieder verlängert, bis er auf diese Weise zehn Jahre im Archiv tätig war.

Als der Leiter der Landschaftsbibliothek, Dr. Martin Tielke, 2008 in den Ruhestand ging, fragte die Ostfriesische Landschaft nach, ob bei Weßels Interesse bestehe, Tielkes Nachfolger zu werden. „Das war für mich ein Riesenglück, das ich sehr zu schätzen wusste.“ Die Vorerfahrungen erwiesen sich für die Aufgaben, die ihn in der Landschaftsbibliothek erwarteten, als vorteilhaft, die neuen Kollegen taten ein übriges, um ihm den Einstieg zu erleichtern. Das habe ihm Martin Tielke in dem sehr kurzen Übergabe-Gespräch bereits prophezeit.

Das war während der Verabschiedung: Karten-Experte Michael Recke überreicht dem scheidenden Historiker Dr. Paul Weßels eine Ostfriesland-Karte. In der Mitte: Landschaftspräsident Rico Mecklenburg, rechts Weßels‘ Enkelin Femke. Bild: Sebastian Schatz, Ostfriesische Landschaft

Schnell ergab sich eine gute Zusammenarbeit mit dem Niedersächsischen Landesarchiv – Abteilung Aurich, dem ehemaligen Staatsarchiv. Was an guter Zusammenarbeit bereits unter Professor Dr. Bernhard Parisius begonnen hatte, das setzte sich freundschaftlich unter dem heutigen Leiter Dr. Michael Hermann fort. Dieses konstruktive Miteinander erstreckte sich nicht nur auf das Vortragsprogramm, das nach wie vor in harmonischer Weise zwischen beiden Einrichtungen verabredet und durchgeführt wird. Auch bei Nachlässen ergaben sich Synergieeffekte – zum Beispiel dann, wenn die Übernahmen nicht nur aus Büchern bestanden, sondern auch Dokumente und Archivalien enthielten.

In seinem Amt als Leiter der Landschaftsbibliothek sei er frei in seinen Entscheidungen gewesen. „Ich hätte zwar gerne einen größeren Etat für Neuanschaffungen gehabt, aber inhaltlich gab es keine Vorgaben.“ Frei ist Weßels jetzt wieder. Und dennoch ist da allerlei aus seinem Berufsleben, das er abschließen möchte. Da ist eine herausragende Publikation, an der der Historiker beteiligt ist – die Herausgabe der Tagebücher von David Fabricius (1564 bis 1617). Es handelt sich vor allem um Wetteraufzeichnungen, aber auch um persönlich gefärbte Anmerkungen zum Geschehen in der Region. Das Projekt wird seit etwa 20 Jahren betrieben, sagt Weßels.

Zunächst musste der lateinische Text transkribiert werden, dann ging es darum, eine verständliche Übersetzung zu liefern. Ein Aufsatzband soll das aufwändige Unternehmen nun kommentierend begleiten. Weßels kümmert sich um die historische Einordnung des Tagebuchs. „Das ganze Projekt ist ein tolles Ding – aber eben nichts zum Schmökern“, meint Weßels, der dennoch dieses Projekt für das womöglich bedeutendste hält, das unter dem Dach der Ostfriesischen Landschaft entstanden ist.

Ein anderes Projekt, das von der Landschaft realisiert werden soll, ist eine NS-Biographie für Ostfriesland. Eigentlich als Gemeinschaftsprojekt mit den Niederlanden gedacht, zerschlug sich diese Planung. Jetzt soll es allein auf deutscher Seite realisiert werden. Derzeit sei man beschäftigt, Mittel dafür einzuwerben. Und dann ist da auch noch ein Projekt über die Sturmflut von 1825, die sich im nächsten Jahr zum 200. Mal jährt. Und nicht zu vergessen – die Schlacht von Jemgum, der eigentlich ein eigenes Heft gewidmet werden sollte.

Mit einem Mal muss Paul Weßels lächeln, als er selber merkt, wie intensiv er noch mit den Belangen seiner Tätigkeit für die Ostfriesische Landschaft beschäftigt ist. Aber jetzt ist die Arbeit freiwillig, er befindet sich ja im Bereich der Kür …