Das Theater als Kunst zum Leben

Emden. Es gibt Menschen, die müssen ewig leben. So möchte man meinen. Dass die Realität letztlich eine andere ist, führt dazu, dass die Todesnachricht mitten ins Mark trifft und den Atem stocken lässt.

So kannte man ihn: Werner Zwarte mitten zwischen den Spielern. Hier im Gespräch mit Werner Telschow. Bild: aus „Erinnerungen. 25 Jahre Jugendtheater Die Rampe

Werner Zwarte war so ein Mensch, dem man zutraute, mit jeder Beschwernis fertig zu werden. Schaffenskraft und Ideenreichtum, Durchhaltevermögen und Beharrlichkeit, Ungeduld und doch eine ungeheure Zugewandtheit zu den Menschen machten ihn aus. Der Lehrer war dabei die eine Seite seines Lebens, die Zugehörigkeit zum Leitungsteam der Berufsbildenden Schulen II die andere. Doch seine innerste Begeisterung lebte er aus, wenn es um die dritte Seite, das Theater, ging. Das war seine Berufung. Und aus dieser Leidenschaft, ja Besessenheit heraus, gründete er die „Rampe“ – sein Theater -, das letztlich über 40 Jahre Bestand hatte und mit dem er Erfolge weit über die Stadt und die Region hinaus feierte.

Bei den Proben zu seinen Stücken konnte Zwarte zum Patriarchen werden. Da zählte nur, was er an Ausdruck auf die Bühne bringen wollte. Und er konnte unwirsch werden, wenn es einmal nicht so klappte, wie er es geplant hatte. Mit wachsendem Alter verdichtete sich sein reicher Erfahrungsschatz zu einer beglückenden Essenz. Und nun wurde die Strenge oft genug von einer Regie der leichten Hand abgelöst, mit der er die Spieler lenkte und leitete – ohne allerdings nur einen Millimeter von seiner jeweiligen Inszenierungsidee abzuweichen.

Die Spieler wussten Zwarte zu schätzen. Als die „Rampe“, das Jugend-Theater der BBS II, ihren 25. Geburtstag feierte – das war 2007 – da attestierte Danny Herres, der im Jubiläumsstück „Lysistrata“ mitspielte, dem Regisseur die Funktion eines „Alphatierchen“, bekundete aber zugleich, welchen Spaß man bei den Proben gehabt habe. Doch da sei auch noch mehr gewesen: „Das Spielen auf der Bühne ist für mich eine der besten Erfahrungen, die ich in der Oberstufe (wenn nicht gar in meinem Leben) machen durfte.“

Werner Zwarte (1945 bis 2024)

Diese Erfahrung für das Leben hat Werner Zwarte einer unglaublichen Zahl von Schülern und jungen Leuten mitgegeben – den Spielern auf der Bühne, den Regieassistenzen, Requisiteuren, Bühnenbauern, Kostüm- und Maskenbildnern, den Technikern für Licht, Ton, Akustik, den Souffleusen, den Fotographen – ein Riesenaufwand, für den sich auch viele Lehrer zur Verfügung stellten, denn die Berufsbildenden Schulen vereinen ja zahlreiche Gewerke unter ihrem Dach.

Das alles aber musste koordiniert, organisiert und auf den Punkt genau fertig werden. Welch eine nervliche, aber auch körperliche Belastung das war, wusste wohl nur Zwarte selber. Diese steigerte sich noch 1995 zum Emder Stadtjubiläum. Man hatte einen Gastautor engagiert, der Szenen der Stadtgeschichte dramatisch gestalten sollte. Titel: „Das Geisterschiff von Emden“. Zwarte befand, der Text sei ein Riesenflop, den er so nicht inszenieren wollte. Was dann geschah, hat Edzard Wagenaar in einem Gastbeitrag für den „Emder Theatertitanen“ notiert. Binnen kürzester Zeit sei aus der „Textruine eines hochbezahlten Gastautoren“ eine imposante stadtgeschichtliche Revue entstanden, die auf einer schwimmenden Bühne im Alten Binnenhafen aufgeführt wurde.

Zwarte selber hat 1960 erstmals auf einer Bühne gestanden – in Kleists „Der zerbrochene Krug“, einer Komödie, die er selber 36 Jahre später inszenieren würde. 1985 stand er in dem Theater-Projekt „Spectaculum“, einer bunten Revue, auf der Bühne. Auch dazu hat Wagenaar einen bezeichnenden Satz notiert: „Sicherlich war es das einzige Mal in der abendländischen Theatergeschichte, dass der Auftritt des spanischen Königs in Schillers „Don Carlos“ (Werner Zwarte im schwarz-weiß gescheckten heimeligen Hermelin) für Lachstürme im Publikum gesorgt hat.“

Die weinenden und lachenden Masken als Symbol des klassischen Theaters hat Werner Zwarte seit 1982 mit der „Rampe“ hoch und runter gespielt – von der antiken Komödie bis zur modernen Dramatisierung aktueller politischer und sozialer Probleme. Noch spannender wurde es, als er eine Zusammenarbeit mit Ilse Frerichs begann und in ihr eine ideale Dramaturgin fand, die lokale historische Ereignisse für die Bühne aufbereitete: „De blinde Willem“, „Das Brandmal“, „Mansfeld“ und zuletzt „Melanie Schulte“ entstanden, geschrieben von der begabten Autorin, auf die Bühne gebracht von dem leidenschaftlichen Regisseur, gespielt von einem begeisternden Riesenensemble, das er zusammenhielt, anspornte, zum Erfolg führte.

Dieses letzte Stück lag Zwarte besonders am Herzen. Er inszenierte es berührend und bedrückend – und verschliss seine Kräfte völlig. Das habe er aber erst hinterher bemerkt, wunderte Zwarte sich in einem Telefonat selber, ganz überrascht darüber, dass auch er den Schwächen des Alters ausgeliefert sein könnte. Ob er da wohl schon geahnt hat, dass diese Geschichte um den dramatischen Tod eines Schiffes und seiner Besatzung seine letzte Inszenierung sein würde?

Das Rätsel um den Untergang der „Melanie Schulte“ war das letzte Stück, das Werner Zwarte inszenierte. Dabei verlas er selber aus dem Off die Namen der mit dem Schiff versunkenen Besatzungsmitglieder

Am Tag nach der Premiere machte Zwarte dann öffentlich, dass es nun genug gewesen sei und er aufhören werde. Ungläubiges Staunen war die Reaktion. Aber Zwarte meinte es ernst, hatte dafür im Hintergrund bereits die Fäden gezogen und ein neues Leitungsteam kreiert. Er selbst wolle wohl noch beratend tätig sein, aber selber inszenieren? Nein!

Es kam die Ehrung. Im Juni 2023 zeichnete die Stadt Emden den Regisseur für seine Verdienste im Bereich der Kultur mit der Ratsmedaille aus. Er nahm sie selber entgegen. Doch gesundheitliche Probleme deuteten sich an. Nun ist Werner Zwarte im Alter von 78 Jahren gestorben. – Und die janusköpfige Maske des Theaters weint ….