Perfide „Erfolgsbilanz“
Emden. Georg Kö machte es gründlich. Sein Vortrag über „Emden und der Kunstraub im Nationalsozialismus – Ein Beitrag zur Geschichte von 1820dieKUNST und der Stadt Emden in Zeiten des Unrechts“ trug nicht nur einen langen Titel, sondern führte die rund 40 Besucher des Vortrags geradezu in die Grundzüge der Provenienzforschung ein.
Was Kö zu sagen hatte, war gleichermaßen spannend wie auch erschreckend. In komprimierter Form rief er noch einmal die einzelnen Stationen seiner Ausstellung „Komplizenschaft“ ins Gedächtnis, schuf aber auch neue gedankliche Konnotationen, indem er die Entwicklung aufzeigte, mit denen Juden in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts systematisch finanziell ruiniert wurden.
Und Kö wäre nicht ein Provenienzforscher der kenntnisreichsten Art, wenn er nicht für diese Aussage einer Enteignung eine schlüssige Begründung hätte. Der nationalsozialistische Staat sei nämlich von Beginn an auf Schulden aufgebaut gewesen, die durch Anleihen kompensiert wurden. „Aber irgendwann muss das Geld zurückgezahlt werden.“ Und in diesem Moment begann die Ausbeutung der Juden. Wer aus dem Land wollte, musste einen schier endlosen Instanzenweg durchlaufen, jede Station war gebührenpflichtig, und die meisten Juden waren schon ruiniert, noch bevor sie ihre Auswanderung begannen. Für die folgenden Transportkosten mussten dann Freunde oder Verwandte aufkommen, machte Kö am Beispiel der Verhältnisse in Wien exemplarisch deutlich. Verkäufe von Hausrat, Schmuck und sonstigen Dingen waren an der Tagesordnung.
Und in diesem Moment habe zum Beispiel auch die Gesellschaft für bildende Kunst und vaterländische Altertümer die Möglichkeit genutzt, ostfriesisches Kulturgut „zu retten“. Bis 1935 habe die „Kunst“ zwar noch Distanz zu den herrschenden Nazis gewahrt, doch 1938 sei sie quasi vom Parteikader übernommen worden. Kö benannte drei Männer als vordringlich Schuldige: Johann Menso Folkerts, ein radikaler Nazi, der sich nach und nach nahezu alle kultur-bezogenen Positionen in der Region sicherte. Oberbürgermeister Carl Heinrich Renken, der schon seit 1939 forderte, die Juden zu vertreiben. In einem Brief an den Regierungspräsidenten in Aurich argumentiert Renken dezidiert: „Auch die Reichsbahn müsste einen Zug zur Verfügung stellen, um sämtliche Juden auf einmal mit dem notwendigsten Hab und Gut aus dem Grenzzonengebiet abtransportieren zu können.“
Dritter im Bunde war Otto Rink – ab 1940 Geschäftsführer der „Kunst“ und Leiter des Museums. Er sei es gewesen, der zum „Haupteinkäufer jüdischen Kulturgutes für die Kunst“ wurde, erläuterte Kö. Und aus der „Kunst“ sei somit ein „Instrument nationalsozialistischer Kulturpolitik“ geworden.
Höhepunkt wurde die Aktion M, die Möbelaktion, bei der allein 8000 Waggon-Ladungen mit Möbeln und sonstigem Hausrat aus den Niederlanden in den Nordwesten geschleust wurden. Insgesamt, so Kö, seien es 100 000 Waggon-Ladungen gewesen, sie auf diese Weise nach Deutschland kamen. Der Inhalt der Transporte wurde nicht dokumentiert, so dass sich heute kaum noch Rückführungen dieses Raubes realisieren ließen.
Es habe sich allerdings ein Briefumschlag im Magazin der „Kunst“ gefunden, in dem persönliche Dokumente verwahrt waren, die offenbar in den Möbeln gefunden wurden. Beschriftet ist der Umschlag, den „Kunst“-Mitglied Johannes Berg bei Arbeiten im Archiv fand, mit „Judensachen aus Holland“ 1943. Die Handschrift stamme zweifelsfrei von Otto Rink. Drei Namen konnte Kö aus diesen Papieren herausfiltern. Doch in allen Fällen endete die Spur in Konzentrationslagern.
Dann fanden sich Auslagerungslisten von Kunstgegenständen – und hier wurde Kö endlich fündig, denn es gab zahllose Vermerke, wem diese Gegenstände ursprünglich gehörten: „von Juden“. Allerdings ließen sich keine Eigentümer identifizieren. Das wäre ein unglaublich aufwändiger Prozess, erläuterte Kö in der sich anschließenden, lebhaften Diskussion. Dass es überhaupt solche Hinweise gab, sei wohl als Nachweis einer „perfiden Erfolgsbilanz“ zu verstehen.
Was wurde aus den drei Protagonisten? Auch darauf wusste Kö eine Antwort. Folkerts wurde 1945 interniert. Vier Jahre später stufte man ihn im Rahmen eines Entnazifizierungsverfahrens aber lediglich als „Mitläufer“ ein. Er baute in Leer die Bezirksorganisation einer Bausparkasse auf. Otto Rink wurde entnazifiziert und nach dem Krieg 1. Vorsitzender der „Kunst“. Und Carl Renken ließ man, nach einem langen Entnazifizierungsverfahren, 1949 wieder zu allen Verwaltungsämtern zu. Er verklagte die Stadt Emden, weil er einen Rechtsanspruch auf Weiterbeschäftigung behauptete. Als er 1954 starb, klagte seine Frau weiter, weil sie von der Stadt Witwen-Pension verlangte. Ihr wurde Recht gegeben. Emden musste zahlen.