„Wer weiß schon, was die Zukunft bringt …“

Emden. Drei Jahre lang war Magister Georg Kö als Provenienz-Forscher am Ostfriesischen Landesmuseum Emden tätig. Dann stimmte das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste einer zweiten Verlängerung seines Vertrages nicht zu. Für ein weiteres Jahr sprang die Stadt Emden ein. Doch nun hat der österreichische Wissenschaftler Emden in Richtung seiner Heimatstadt Wien verlassen. Es ist für ihn der Abbruch eines Forschungsfeldes, dass Kö durchaus gerne weiterverfolgt hätte, denn „die Arbeit ist bei weitem noch nicht getan“.

Ganz zu Beginn seiner Tätigkeit in Emden: Magister Georg Kö im Rummel des Emder Rathauses

Was Kö in Emden umgesetzt hat, das war Grundlagenforschung. In der von ihm kuratierten Ausstellung „Komplizenschaft“ zeigte sich, was er als Basis verstand – die Untersuchung des geschehenen Unrechts – und damit verbunden – die Darstellung der Tätergeneration. Er weiß aber auch, was das Zentrum Kulturgutverluste sich als Ergebnis wünscht – eine fallorientierte Arbeit mit klarer Ermittlung von Erben, an die sich die geraubten Objekte restituieren lassen. Dem ist Kö teilweise gefolgt, aber das ist ein schwieriges, aufwendiges und zeitraubendes Unterfangen – zumal wenn es – wie in Emden – vor allem um Alltagsgegenstände aus jüdischen Haushalten geht. Für den Bereich der bildenden Kunst, der Graphik und Volkskunde sehe das anders aus, da sei die Forschung weit vorangeschritten, und daraus hätten sich auch konkrete Fälle ergeben. Doch dann kam Corona – und die Erbensuche wurde „ausgebremst“.

In diesem Zusammenhang gesteht Kö dem jüngst erst wieder aufgetauchten „Zettelkasten“ der Gesellschaft für bildende Kunst und vaterländische Altertümer großes Potential zu. „Er ist wirklich der Schlüssel zur Sammlung.“ Ihn müsse man Objekt für Objekt mit dem aktuellen Bestand in Ausstellung und Magazin abgleichen, um wirkliche Quellenforschung betreiben zu können. „Das ist mühsame Bergwerksarbeit – müsste aber gemacht werden.“

Die Quellen, die Georg Kö für seine Arbeit erschließen sollte, waren zum Beispiel die Protokollbücher der KUNST. Doch da bestanden „massive Lücken“ zwischen 1940 und 1943. Ebenso sparsam zeigten sich die Kulturamtsakten, weil ein großer Teil des Altbestands in den 50er Jahren vernichtet wurde, und letztlich waren auch die Jahresberichte der KUNST unergiebig. „Das Offenlegen dieser Probleme ist allerdings auch eine Information“, stellt Kö gelassen fest.

Die Quellen, die sich dann als ergiebig erwiesen, hat er selber erschlossen: vor allem die Auslagerungslisten von Stadt und Kunst von 1941 bis 1947, die Handablagen ehemaliger Museumsleiter, Finanzamtsakten, die Korrepondenzakten der KUNST. Dazu aus Möbeln der M-Aktion (Beschlagnahme von Möbeln und sonstigen Einrichtungsgegenständen) entnommene und von Otto Rink, damals Leiter des Ostfriesischen Landesmuseums und Geschäftsführer der KUNST, ins KUNST-Archiv eingebrachte Dokumente von verfolgten und ermordeten Menschen, weitere strukturelle Bestände im KUNST-Archiv, dem Landesarchiv in Aurich, in Hannover, sowie Akten und Karteien im Amsterdamer Stadtarchiv und für die Verfolgungsgeschichte einer Person wichtiges Material aus dem Wuppertaler Stadtarchiv …

Wenn er weiterarbeiten könnte, würde sich sein Fokus sowieso verschieben – von Emden auf den Bereich Weser-Ems. In den Niederlande habe man dieses Forschen im übergeordneten Rahmen schon seit den 50er Jahren kultiviert. Dort sei man gezielt der Frage nachgegangen, wie der Nationalsozialismus Beraubung und Vernichtung der Juden organisiert habe. Damit schufen sich die westlichen Nachbarn eine feste Basis, auf der die Weiterarbeit möglich wurde. Dies könnte auf den deutschen Raum übertragen werden, „aber dazu muss der politische Wille vorhanden sein“.

Gerne hätte Kö auch seine schulischen Kooperationsprojekte fortgesetzt, die sehr erfolgreich waren und den Schülern Grundlagen wissenschaftlichen Arbeitens vermittelten. Dass hätte man auch grenzübergreifend fortsetzen können. Doch diese Arbeit ruht nun.

Neben seiner Arbeit im Bereich Provenienz-Forschung schlug Georg Kö menschlich Wurzeln in Ostfriesland . Er hat sich nämlich an der Küste ausgesprochen wohl gefühlt – und das „vom ersten Tag an“. Als er an diesem ersten Tag in Emden ankam, war es Nacht. Vor dem Bahnhof stand sein Vermieter, holte ihn ab und lud noch zur Teestunde. Diese schlichte Form der Freundlichkeit und Selbstverständlichkeit habe er seitdem immer wieder erlebt. „Ich bin schon in vielen Regionen tätig gewesen, aber noch nirgendwo bin ich so freundlich aufgenommen worden.“

Georg Kö geht ungerne, denn eine Leerstelle seiner Arbeit hätte er gerne noch in sein wissenschaftliches Portfolio aufgenommen und ausgefüllt – die Rolle der Geheimen Staatspolizei. Doch finden sich zur Klärung von verfolgungsbedingtem Vermögensentzug durch die Gestapo keine verwertbaren Akten mehr. Ob er irgendwann am Thema weiterarbeiten kann, ist ungewiss, aber: „Wer weiß schon, was die Zukunft bringt …“.

► Die Ergebnisse der Provenienz-Forschung von Georg Kö werden demnächst im Emder Jahrbuch erscheinen.

► Unter Provenienz-Forschung versteht man grundsätzlich die Geschichte der Herkunft von Objekten. Hier geht es insbesondere um den Kunstraub an den Juden während der NS-Herrschaft.

Georg Kö
Historiker und Wissenschaftstheoretiker
Forschungsschwerpunkte: Holocaust- und Provenienz-Forschung, die Geschichte des Technischen, die Geschichte und Theorie der Fotografie sowie Methodologien und Praktiken des Digitalen in den Kulturwissenschaften
Studium: Wien und Utrecht
Beruf: Fachtutor für historische Fachinformatik
– Beteiligt am Aufbau des AV-Zentrum der Geistes- und Kulturwissenschaftlichen Fakultät an der Universität Wien

dort als Projektentwickler und Web-Programmierer tätig
– Entwicklung einer Plattform zur Bereitstellung des Gesamtbestandes der Veröffentlichungen der Historikerkommission Republik Österreich
– Mitarbeiter im Projekt ‚ns-quellen.at – Materialien zum Nationalsozialismus, Vermögensentzug, Rückstellung und Entschädigung in Österreich‘

– Mitarbeiter der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, Anlaufstelle für jüdische NS-Verfolgte in und aus Österreich
– leitende Funktion für das neu gegründete Wiener Wiesenthal Institut für Holocaust-Studien (VWI)
internationale Zertifizierung als Wissensmanager
– Forschung und Entwicklung im Bereich Digital Humanities für das Ludwig Boltzmann Institut für Geschichte und Gesellschaft, das Österreichische Filmmuseum und das United States Holocaust Memorial Museum
– In Verbindung mit dem dritten großen Forschungsschwerpunkt, der Geschichte der Ästhetik in Film- und Fotografie, entstand das internationale Verbundprojekt ‚Ephemere Filme: Nationalsozialismus in Österreich’, das völlig neue digitale Methoden und Werkzeuge zur Digitalisierung, Analyse und Vermittlung historischer Filme im Kontext ihrer Geschichte hervorbrachte.

digitaler Archivar bei der Planung und Konzeption des digitalen Universitätsarchivs der Universität Bamberg
– Projektentwicklung für die Kommission für Provenienz-Forschung beim Bundeskanzleramt der Republik Österreich zur Erstellung eines Online-Suchverzeichnisses für die Veröffentlichungen der Kommission für Provenienz-Forschung

– Mitarbeiter des innovativen Projektes „Interactive Music Mapping Vienna: Exploring a City. 1945 up to the present day“ an der Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien
– Provenienzforscher am Ostfriesischen Landesmuseum Emden