Pianistische Höchstleistung

Pianistin Elisabeth Leonskaja gastiert mit einem Schubert-Abend bei den Gezeitenkonzerten in der Großen Kirche zu Leer

Leer.
Der frenetische Applaus nach dem Konzert scheint ihr eher Last als wirkliche Freude zu bedeuten. Ihre Gesten des Dankes sind sparsam, ebenso ihr Lächeln. Doch wenn sie lächelt, geht die Sonne auf. So wie bei ihrem Spiel.

Seltenes Lächeln: Elisabeth Leonskaja bei ihrem Auftritt in Leer. Bilder: Karlheinz Krämer

Große Umstände macht Elisabeth Leonskaja nicht. Sie kommt in den Saal, verbeugt sich knapp, setzt sich, ordnet ihre schwarze Jacke über dem dezent gemusterten langen Seidenkleid und legt los. Ohne „Künstlerpause“, ohne jede Attitüde greift sie souverän in die Tasten. Sicher, erfahren, getrieben offenbar von dem Bedürfnis, nichts anderem als der Musik Ehre zu erweisen. Äußerlichkeiten oder gar Eitelkeiten scheinen ihr völlig fremd zu sein.

Die Unmittelbarkeit und Kraft ihres Spiels, die Lust an der Modulation der Lautstärke, die unbedingte Treue zum Ausdruck – all das sorgt beim Publikum gleichermaßen für Vergnügen und Bewunderung. Der große D-Flügel gehorcht ihren Händen auf das Feinste, und die Ästhetik dessen, was der Besucher zu hören bekommt, ist überwältigend.

Franz Schubert. Jung verstorben, vermutlich an Typhus. Er hat so viele Werke hinterlassen, dass man sich verwundert fragt, wann er, der vermutlich nicht einmal einen eigenen Flügel besessen hat, das alles denn komponiert haben mag. Elisabeth Leonskaja beginnt mit drei Klavierstücken aus dem Nachlass, D 946. Sie vermitteln den Eindruck, als höre man das Werk Schuberts einmal quer durch. Wie in einem Konzentrat fügen sich die Töne zu Takten zusammen, die man aus anderen Schubert-Kompositionen zu kennen meint.

300 Besucher waren in die Große Kirche gekommen, um den Schubert-Abend mitzuerleben

Die „Wanderer-Fantasie“, im Grund eine Gedicht-Vertonung, beschert melancholisch-fröhliche Eindrücke einer Interpretation landschaftlicher Eindrücke, die in menschliche Stimmungen überführt werden. Die Pianistin verstärkt die Eindrücke durch wunderbar eindringliche und eingängige Phrasierungen, durch einen fortgesetzten Strom von feinsten Anschlägen. Überhaupt – diese Anschläge. Sie sind weich, geschmeidig, elegant, anmutig geradezu.

Die langgestreckte Sonate D 960 in der freudigen, sonnigen Tonart B-Dur steht am Ende des Konzertes an einem sonnigen Sonntag. Elisabeth Leonskaja lässt das Werk, dessen wunderbare Melodien immer wieder von gedankentiefen Schatten gebrochen werden, in einer Interpretation erklingen, deren Wirkung die 300 Besucher in der Großen Kirche zu Leer packt und zu minutenlangem Applaus veranlasset Zweimal geht die Pianistin auf die Wünsche des Publikums ein, verbeugt sich. Es erklingt als Zugabe ein Nocturne von Chopin. Doch ihre Gestik ist eindeutig. Ein drittes Mal erscheint sie nicht. Mag der Beifall auch noch so heftig sein.

Der abschließende Eindruck: Das war eine pianistische Höchstleistung, in der sich ein langes Leben für die Musik essenziell verdichtet.